Samstag, 20. Juni 2015

ROHE MENSCHLICHKEIT STATT ROMANTISCHE LIEBE. Laurie Penny über "Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution"

Quelle: http://www.crieur-public.com/cpwp/wp-content/uploads/2014/11/penny.jpg

Laurie Penny schreibt in „Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution“ von der Liebe in Zeiten des Spätkapitalismus: einer unseeligen Kombination aus Geschäftssinn (Funktions- und Synergieeffekte, Steigerung des Wirtschaftswachstums via Marktwert der Körper) und Romantizismus (Treue light als exklusiver Gebrauch der wechselseitigen Geschlechtsorgane, serielle Monogamie als Leitbild). Es geht bei dieser „Liebe“, die Penny „Liebe®“ nennt und die für uns von überall her beschworen wird,  vor allem um die repressive Beschränkung möglicher Intimität auf mit Liebesschwüren aufgeladene Sexualität. So werden wir, die scheinbefreiten Individualisten auf Linie gehalten: Arbeit am Körper und der Beziehung kostet und steigert das Bruttosozialprodukt. Über die „Liebe“, wie Hollywood, Werbung und Heftchenromane sie uns verkaufen, werden wir beschäftigt und gefügig gehalten, weil wir nicht einmal mehr begehren können, was uns befreien könnte: die Vielfalt der Lieben, die uns möglich sind, der Nähen und Vertrautheiten, der Treuen jenseits  sexueller Verfügbarkeit und wechselseitiger Besitzverhältnisse. Weil Liebe® das beste Instrument geworden ist, uns zu angepassten Wesen zu machen, die sich nicht trauen und nichts zutrauen, haben wir vergessen, das revolutionäre Potential der Liebe auszuschöpfen. Denn Liebe kann: Vertrauen produzieren, Besitzverhältnisse auflösen, Verbindung und Verbindlichkeit ermöglichen über monogame Zweierkisten hinaus (Gegen die allerdings, wo sie zwei Menschen glücklich machen, nichts zu sagen ist. Bloß als Norm, der wir alle hinterherhecheln sollen, entfaltet das heteronormative Zweierkisten-Ding seine zerstörerische Wirkung).

Penny gilt scheinbar derzeit in Deutschland als neuer Star am Firmament des Feminismus. Ich bin von ihrem Buch etwas weniger begeistert als viele andere Rezensentinnen. Über weite Strecken erscheinen mir ihre Analysen zum Geschlechterverhältnis stark vereinfachend, zum Teil zu sehr auf angelsächsische Dating- und Medien-Gepflogenheiten abgestellt, deren universelle Gültigkeit ich nicht erkennen kann, ihre Schlussfolgerungen aus persönlichen Erfahrungen auch zu sehr verallgemeinernd und redundant. Gleichzeitig ist es sicherlich eine Stärke des Buches, dass Penny sich nicht scheut, die Wirkung des spätkapitalistischen Patriarchats auf den eigenen Körper und das eigene Selbstbewusstsein darzustellen. Denn eine jede kann nur von sich selbst ausgehen und nicht für die andere mitsprechen. Daher denke ich, dass Pennys Analyse in diesen Grenzen verstanden werden muss: ihrer Altersgruppe (Penny ist Jahrgang 1986), ihre kulturellen und sozialen Backgrounds und ihrer persönlichen Erfahrungen und Lebensentscheidungen. Unterrepräsentiert (wenn auch nicht ausgeblendet) bleibt zum Beispiel die Perspektive von Frauen, die Mütter sind und sein wollen, die Perspektive von Frauen, die aufgrund ihres sozialen Status oder ihrer kulturellen Prägung kaum oder gar nicht „Zielgruppe“ der spätkapitalistischen Geschlechterkulturindustrie sind, die Perspektive alter Frauen oder die Perspektive von Feministen, die biologisch Männer sind.


Großartig aber ist, wie Penny auf den Punkt bringt, mit welchen Mechanismen ihre Generation, die oberflächlich betrachtet so viele Optionen hat, klein gehalten und in ihrem Begehren eingeschränkt wird: „Ich kann euch sagen, was wir wollen sollen: schwere Arbeit, schale Schönheit und romantische Liebe, gefolgt von Geld, Ehe und Kindern. Diese Definition von völliger Freiheit hat Besitz von unserer Fantasie ergriffen und lässt keinen Raum für andere Lebensweisen.“ Mit Verve setzt sich Penny für die Erkenntnis ein: „Liebe® ist nicht die wahre Liebe, denn viele andere Arten von Liebe sind auch wahr.“ Aus dieser erlebten und erfahrenen Erkenntnis zieht Penny ihre Hoffnung: Liebe kann die Welt verändern: „Die rohe Menschlichkeit der anderen ist die unsagbare Wahrheit, die der moderne Sexismus mit seinen Mechanismen zu verschleiern sucht. Wenn wir den Mut haben, sie einzufordern, wird eine Bewusstseinsänderung einsetzen und eine sexuelle und soziale Revolution in Gang bringen, die uns die Freiheit geben wird, erfüllter zu leben und zu lieben und das wird genauso furchterregend sein, wie es klingt.“

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