Samstag, 7. März 2015

Hart kämpft (Teil 1) (DREI SABINEN)

Sie war und wollte eine auffällige Erscheinung sein. Immer Auftritt, aber im Inneren die Angst und die Depression stets auf der Lauer. „Ein heißer Feger“, flüsterte es hinter ihr her, wenn sie die Treppe hinaufstieg ins Turmhaus, wo die Schönen und Reichen und Gebildeten das Tanzbein schwangen. Lippen auf Alarmrot, die Nüstern gebläht, wie eine Zuchtstute das Haupt in den Nacken gelegt, eine edle Bewegung, dafür aber der Hals zu kurz, eigentlich. Sie kompensierte das mit einem Blick unter exakt geschwungenen Brauen aus giftgrünen katzenhochmütigen Augen. Das lockige Haar schwang um ihre Schultern in falschem Tizianrot. Sie wollte keine Naturgewalt sein, sondern das hohe Bild der zweiten Natur: Mehr Erotik als Sex, aber stets ein Angebot, unter der Hand, für den Mann, der das Alpha-Tier vorstellte oder den sie dazu machen konnte. Jede Geste zeigte an: „Ich bin der große Preis.“

So tauchte die wieder auf, die einmal die Bohnenstangen-Sabine gewesen war und sich jetzt Sabia Hart nannte, modelhaft, und keine konnte einer wie ihr ohne Vorurteile begegnen. So viel Schau, da ließ sich leicht an der Substanz zweifeln. Das war ein Fehler und nicht unser einziger. Sie hatte sich verwandelt und wir sogen die Luft ein. Doch das Spiel, das sie spielte, begriffen wir weder damals noch später. Die Kampfszene, in die sie eingestiegen war, vielleicht hatte einsteigen müssen, auch um unseretwegen, unserer Worte und Blicke willen, verstanden wir nicht. Sie wollte gesehen werden, aber die Blicke, die sie trafen und die sie verschoss, galten nicht gleich viel.

Kerstin, die einmal „die Schlaue“ gewesen war und nun ein Mittelstandsmusterleben in der Provinz führte, hatte den berühmten Pianisten, dessen Einspielungen sie sammelte, an jenem Abend hören wollen und den Freund überredet, sie zu begleiten. Von ihr hörten wir später, wie diese Begegnung mit der, die wir vor Zeiten Bohnenstangen-Sabine gerufen hatten, verlaufen war. Das meiste mussten wir uns zusammen reimen, denn Kerstin war keine gute Erzählerin. Mit geschlossenen Augen, so stellten wir uns vor, hatte Kerstin dem Spiel gelauscht, ihre Hand sanft und trocken in die ihres  Begleiters gelegt. Sie saßen in der ersten Reihe der Stühle, die an jenem Abend im Halbkreis auf den Tanzboden gestellt waren, um dem Pianisten eine Bühne zu schaffen, die Beine einander spiegelnd übereinander geschlagen, ihre Füße sich gelegentlich leicht berührend. Der Meister spielte gut, wenn auch, wie Kerstins Gefährte später feststellte, beinahe zu virtuos. Zu sehr, so fanden beide, war sich der Mann in jedem Augenblick seiner selbst und seiner Begabung bewusst, spielte vor, gab sich nicht aus. „Trotzdem, war´s gut.“, resümierten sie im Foyer danach. Nach dem Vortrag standen die geladenen Gäste noch eine Weile herum, Weingläser wurden ausgeschenkt, Brezeln aus Körben angeboten. Ein alter Bekannter stellte Kerstin den Pianisten vor.

Sie, so behauptete sie, sei überrascht gewesen wie dieser Mann sie taxierte, als sei sie solo gekommen, aus tiefliegenden, von schweren Lidern verschatteten, beinahe schwarzen Augen. Das dunkle geölte Haar und sein Monjou-Bärtchen, über das er sich fortwährend strich, verstärkten die, ohne Zweifel beabsichtigte, Reminiszenz auf einen ruchlosen Dandy der 20er Jahre. Seine Stimme war rauchig, ein heiseres Flüstern, als hätten sie beide etwas miteinander zu verbergen, so legte er ihr seine Hand auf den Unterarm: „Sie kennen meine Musik? N´ est pas?“ Die Bewegung hatte etwas Entblößendes. Kerstin fühlte sich nackt. Ein leichtes Tippen seiner Fingerspitzen, kaum spürbar. Dann ließ er wieder los.

Dieser Flirt aber, so stellte Kerstin es dar, galt nicht ihr, nicht wirklich, sondern dem, der sie begleitete, ihrem Mann, wie der Klaviervirtuose offenbar annahm, und ihr, der Roten, der schönen Sabia, seiner Frau. Die sie nicht war, andererseits, was eine Rolle spielte, die aber Kerstin an jenem Abend noch nicht durchschauen konnte. Wir waren nicht überzeugt, denn wir ahnten, wie sehr Kerstin, die Spröde, ihre eigene Anziehungskraft unterschätzte.

Was jedoch sicher stimmte: Das Spiel, das hier gespielt werden sollte, zwischen Hart und dem Pianisten, überforderte die schlaue Kerstin. Was sich an jenem Abend zwischen Sabia, Kerstin und dem Pianisten anbahnte, beruhte schon auf so tiefen Missverständnissen, dass sie auch später keine Erneuerung der alten Freundschaft - die in Sabias Augen ohnedies niemals bestanden hatte- je würde wieder auflösen können. Kerstins Begleiter reagierte nicht auf den Pianisten. Er sah wohl das Spielbrett, aber die Spieleröffnung, die ihm galt, entging ihm. „Magst du ein Glas Roten?“, fragte er und als Kerstin nickte, wandte er sich ab, unbesorgt, um sich in der Schlange anzustellen. Der Pianist lächelte, kein anderes Wort passt besser als: maliziös. Weniger galt seine Verachtung ihr, der kühlen Blonden, die der Verteidigung nicht wert zu sein schien, als dem anderen Mann, der den Kampf nicht angenommen hatte.

Hart dagegen nahm an. Mit dem Oberkörper lehnte sie sich leicht seitwärts gegen die Brust des Pianisten. Hätte sie ihren Arm, wie eine Bürgerliche des 19. Jahrhunderts im Stadtpark, unter seinen Arm geschoben und einen Schirm geschwungen, die Geste hätte nicht besitzanzeigender und abwehrender zugleich sein können. Sie hatte Kampfstellung bezogen. „Wir Künstler“, lächelte sie, „müssen euch sehr kapriziös erscheinen.“ Er genoss es, ungemein. „Aber warum denn, meine Liebe, darf ich Ihnen Sabia Hart vorstellen, eine sehr, sehr gute Freundin.“ Das war geschickt. Er sagte nicht: meine Freundin. Oder: meine Geliebte. Dennoch war es eindeutig: sehr, sehr, das e gezogen und das r gerollt. Aber auf eine Weise ausgedrückt, die die Geliebte auf Distanz hielt. Die Botschaft an Kerstin, der er tief in die Augen schaute, lautete: Wenn Sie wollen... Die ehemalige Bohnenstange bemerkte das wohl und fuhr die Krallen aus. „Wirk kennen uns“, ließ Kerstin ihn wissen, „von früher. Obgleich du dich“, wandte sie sich an Sabine-Sabia, „sehr verändert hast. Kaum wiederzuerkennen.“ Hart schnurrte. Das Angebot, das er Kerstin gemacht hatte mit den Augen, brachte sie in Wallungen. Das war der Preis, um den er zu haben war, und der seinen Wert steigerte. Dass er sie kämpfen ließ. Ohne die dauernden Kränkungen hätte sie ihn gar nicht haben wollen. 

Was ging in ihr vor an jenem Abend, als sie eine von uns zum ersten Mal wieder traf nach so langer Zeit? Sah sie in Kerstin ein Mäuschen, das es wagt, mit der Katze zu spielen? Wir hatten sie bedauert, früher, aber Kerstin schauderte es nun, wenn sie an den Blick dachte, mit dem Hart sie gemustert hatte. Durchdringend, gierig, verlangend. Spiel mit uns. Wags doch. Und was sah er? Die Beute eines anderen, um die es sich zu streiten lohnte? Es waren andere Frauen anwesend, schönere, teurere als Kerstin an jenem Abend. Warum sie? Die versuchte ein Gespräch in Gang zu bringen: „Du bist Sängerin geworden?“, fragte sie. Hart legte den Kopf in den etwas zu breiten Nacken, als wolle sie jenen kleinen Makel durch die Dehnung ausgleichen, bevor sie Kerstin ihr breitestes Lächeln schenkte: „Du hast bestimmt von  meinem Engagement in H. gehört.“ Kerstin verneinte. Harts Züge erstarrten, jedoch nur für einen winzigen Moment. 

„Holst du mir meinen Mantel?“, wandte sich Kerstin, der kalt geworden war, an ihren Begleiter. Er strich sanft mit der Hand über ihren Rücken. „Müde?“ Sie nickte, erleichtert. Als er zur Garderobe ging, beugte sich der Pianist zu ihrem linken Ohr: „Wir werden uns wiedersehen.“, flüsterte er, die Lippen fast gegen ihre Muschel gepresst. Kerstin zitterte. Der Pianist lachte entspannt auf: „Sie sind eine wunderbare Zuhörerin.“  Er hob ihre rechte Hand seiner Nasenspitze entgegen und hauchte einen angedeuteten Kuss darauf. Hart neben ihm schüttelte sich kaum merklich, aber Kerstin war sich dennoch sicher, die Bewegung wahrgenommen zu haben. Kerstins Begleiter kam mit dem Mantel zurück und sie schmiegte sich  an ihn, strich mit ihrer Wange über seine Hand, die ihr den Ärmel half. Er suchte, ein wenig irritiert, ihren Blick. „Alles in Ordnung?“. Sie nickte und klammerte sich noch etwas enger an ihn. Sabine Hart legte ihr zum Abschied eine Hand auf den Arm: „Wir werden uns wiedersehen.“, wiederholte sie exakt die Worte des Pianisten.

Kerstin benutzte, als sie uns davon erzählte, nicht das Wort Flucht. Aber so etwas muss es gewesen sein. Sie glaube nicht, sagte sie, dass sie Sabine Hart, die Bohnenstange, die eine Rote geworden war, sinnlich, ergreifend, besessen von ihm, dem Pianisten, je wiedersehen werde. Sie jedenfalls, behauptete Kerstin, wolle das nicht. „Irgendwie“, sagte sie, und das Wort entlarvte sie mehr als das Zittern ihrer Stimme, machten die ihr Angst, diese unbekannte Sabine-Sabia und ihr Pianist. Damals ahnten wir noch nicht, was kommen würde. Aber keine von uns glaubte Kerstins Beteuerungen.

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