Mittwoch, 18. März 2015

#Blockupy (et.al.) KEIN KRIEG MEHR DEN PALÄSTEN!? Luisa Muraro über "Stärke und Gewalt"

"Ich finde es daher richtig, damit aufzuhören, auf die Politik der Paläste zu schauen, und ich finde es zwecklos, noch etwas von ihnen zu erwarten, um dann zwangsläufig enttäuscht zu werden."
Luisa Muraro



Luisa Muraro beginnt ihren Essay über "Stärke und Gewalt" mit der Reflexion über ein Graffiti, das ihr, als sie es entdeckte, "wie von mir im Traum geschrieben erschien":

Dio è violent !

"Gott ist gewalttätig!" heißt das und eine andere Hand sprühte unter diesen schwarzen Schriftzug auf die sandsteinfarbene Wand in Lecce in Rot: "Und belästigt mich". Kleiner. Undeutlicher. 

Muraros Essay über die Gewalt sorgte in Italien nach seinem Erscheinen 2012 für Aufruhr. Die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, auf die er sich in spezifischer Weise bezieht, sind jedoch längst nicht mehr italienische, sondern - auch wenn in den Medien und von Macht-"Politiker_innen" weiterhin nationalstaatliche Diskurse bevorzugt werden - längst europäische. Was das heutige Blockupy-Desaster in Frankfurt gezeigt hat - und wenigstens das kann als ein Erfolg gewertet werden - ist: Es gibt eine europäische Öffentlichkeit und Ansätze einer europäische Politik jenseits des Austausches nationaler Macht-Eliten in den Hinterzimmern von "Institutionen". 

Für Muraro ermöglicht das Wort "Gott" es, in den bürgerlichen, rationalistischen Diskurs Denkweisen und Wissen einzuführen, denen er sich sonst verschließt. Die Verbindung von Gott und Gewalt eröffnet auf diese Weise gleichsam einen neuen Blick auf die Bedeutung und den Bezugsrahmen von Gewalt, meint Muraro. Denn "Gott", so die rationalistische Erzählung, lässt sich vergewaltigen, wird zur Gewalt missbraucht  Das Graffiti aber wendet diesen laizistisch-rationalistischen Blick: Gott ist gewalttätig. Muraro liest das nicht als Vorwurf, sondern als distanzierte Feststellung. Gewalt ist aus dieser Perspektive keine Option, sondern eine Potenz, die wir nicht strategisch einsetzen können, sondern die uns in bestimmten Situationen gebraucht.

Muraro setzt sich in ihrem Essay mit der Konstruktion des Gesellschaftsvertrages auseinander, durch die zu Beginn der Moderne mächtige Männer eine Erzählung schufen, um den Status der Machtbeziehungen zwischen Männern und Frauen, Reichen und Armen, Fremden und Einheimischen ohne den Rekurs auf Gott zu rechtfertigen. Muraro gibt zu, dass die Fiktion des Gesellschaftsvertrages mit seiner Begründung eines staatlichen Gewaltmonopols für eine gewisse Phase "nützlich" gewesen sei. Dies gelte aber nicht mehr, seit die "Autoritäten" jede Autorität eingebüßt hätten. Diesen Zustand konstatiert sie für die Gegenwart. Die Institutionen, die aus der Erzählung vom Gesellschaftsvertrag hervorgingen, existierten weiter, aber sie hätten jede Glaubwürdigkeit eingebüßt. Das Ideal, von dem her sie ihre Autorität bezogen hätten, sei hinfällig geworden: der Glaube an den Fortschritt, daran, dass die Bedingungen des Vertrages allen mehr Wohlstand ermöglichen (das gilt gleichermaßen für die Hobbesche, die Lockesche oder die Rousseausche Variante des Vertrages). Mit dem Verlust dieses Ideals kehre indes das Gesetz der Stärkeren zurück, das eben von jenen Institutionen durchgesetzt werde, die es eigentlich kontrollieren und seine Gewalt einhegen sollten.

Was also tun? Muraro schaut das Graffiti genau an. Jemand hat mit weißer Farbe einen Buchstaben zwischen dem t von "violent" und dem Ausrufungszeichen hinter dem Satz entfernt. Hätte dort ein o gestanden, so wäre Gott männlich gedacht, hätte dort ein a gestanden, so wäre Gott eine Frau. Gott hat kein Geschlecht, oder? Von einer Frau her kann jedoch vielleicht etwas Neues gedacht werden, nicht weil Frauen klüger wären als Männer, sondern weil sie jene Erfahrungen mitbringen, die dem männlichen Denken fehlen. Denn der Gesellschaftsvertrag, die Fiktion, auf der unser Gemeinwesen so lange basierte, hat gleichermaßen negative wie positive Veränderungen bewirkt: sexistische Unterdrückungsverhältnisse und die Verschleierung der Ausbeutungsverhältnisse ebenso wie die Ideale von Recht und Gleichheit. Die Erfahrung der Frauen gegenüber dieser Erzählung im positiven wie negativen Sinne ist ihre Abwesenheit. Aus dieser Erfahrung heraus können Frauen das Andere denken, eine Vision von Freiheit für Männer und Frauen entwerfen, die nicht auf der Fiktion der Unabhängigkeit basiert, die die Gebürtlichkeit ignoriert und leugnet. Stattdessen ginge es um Freiheit, die sich aus Beziehungen entwickelt. Der Feminismus der Differenz bricht daher radikal mit dem Ideal der Gleichheit. Es geht ihm nicht darum, sich zu integrieren, also Gleichstellung zu erreichen, sondern frei zu werden für ein anderes Denken, dem dann (unter anderem) die Idee des Gesellschaftsvertrages in ihrem Kern heute als eine Verabredung zur kollektiven politischen Verantwortungslosigkeit erscheint. Denn laut Vertrag tritt ja ***der Einzelne*** seine individuelle Verantwortung für die Politik, für die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens, an den Staat und seine Repräsentanten ab, die es über Gesetze regeln. Politische Stärke hieße, diese Verantwortung wieder zu übernehmen, also sich nicht länger auf den "Vertrag" zu beziehen, den "wir" nicht nur nie geschlossen haben, sondern in dem "wir", die Frauen, auch fiktiv nicht als Subjekte mitgedacht waren. Daher kann "uns" dieser Schritt leichter fallen als Männern, da wir ihn, den Vertrag, nicht einmal kündigen müssen. (Spannend für mich an dieser Stelle, die Schnittmenge, aber auch die Differenzen von Muraros Thesen zu Martha Nussbaums Kritik am Gesellschaftsvertrag in ihrem 2014 auf Deutsch erschienenen Buch "Die Grenzen der Gerechtigkeit".)

Von dieser Überlegung her denkt Muraro nun auch das Problem der Gewalt um: Gewalt wird  eben nicht mehr als Mittel begriffen, das sich für diese oder jene Zwecke gebrauchen lässt, sondern Gewalt wird als eine Potenz erkannt, die Menschen gebraucht, denen es gerade nicht offen steht, sie zu nutzen oder auf sie zu verzichten, die nämlich in Gewaltverhältnissen schon leben. Weil Macht und Politik nicht dasselbe sind, geht es jedoch nicht darum, diese Verhältnisse gewaltsam zu brechen, sondern sich der eigenen (politischen) Stärke wieder bewusst zu werden. Dieser Stärke kann sich aber gerade keine vergewissern, solange sie sich in ihrem (politischen) Handeln auf die Herrschenden bezieht. Dass das Ende des Fortschrittsglaubens (des Willens zu mehr Wohlstand für alle; an dieser Stelle eröffnet sich eine spannende Verbindung zum "Mangel an Denken" in der traditionellen Ökonomie, nämlich wahrzunehmen, dass "Wirtschaft Care ist") nicht in seiner Konsequenz  gedacht worden ist, führte zum Aufbäumen und Dahinsiechen der autoritätslos gewordenen "Autoritäten", unter ihnen die Institution "Mann", durch die das Gewaltmonopol des Staates in die Familie verlängert wurde. Die auch in der Linken verbreitete Denkfaulheit, diesen Zusammenhang wahrzunehmen, erklärt, so Muraro, "den nicht-intelligenten Gebrauch von Gewalt durch politisch linke Gruppen. Überzeugt davon, tödliche Gegner des Staates zu werden, ahnen sie nicht (abgesehen natürlich von Spitzeln), dass sie genau dadurch zu seinen Komplizen werden. Dieses objektive Komplizentum zeigt sich heute im Schwarzen Block, der perfekten Verkörperung des Komplizentums von privater Gewalt, Kriminalität und Staatsgewalt." 

Frauen wachse, so zeigt Muraro, eine zweifache Kompetenz zu, die Frage der Gewalt neu zu definieren: einerseits hätten sie gleichermaßen innerhalb wie außerhalb des Gesellschaftsvertrages gestanden; zum Zweiten hätten Frauen die Erfahrung sexueller Gewalt gemacht. Die Kompetenz der Frauen entstehe daraus, dass sie aus diesen Erfahrungen eine symbolische Unabhängigkeit gegenüber der Macht erlernt hätten: Die Fähigkeit nämlich, "Gehorsam" - scheinbar - zu leisten, ohne zu glauben. (Eben das, was im "männlichen" Diskurs die Hinterlist, die Un-***Ehrenhaftigkeit***, kurz die Minderwertigkeit der Frau bezeugt, ihr mangelnder Wille, ihren Glauben oder Unglauben mit den Mitteln der Macht durchzusetzen). Symbolische Unabhängigkeit ermöglicht, die Macht nicht mehr anzuerkennen, ohne an ihr zu zerbrechen. Und es bedeutet: Als Maßstab nicht den "Erfolg", nämlich die Anerkennung als individuelle "Heldin" im Kampf gegen "die da oben", zu setzen, sondern das Begehren, den Herzenswunsch: Wie wir leben wollen. Gewalt ist dabei kein Mittel, sondern eine Kraft, die möglicherweise ausbricht. "Die Formel, die ich gefunden habe", schreibt Muraro, "lautet: So viel wie nötig, um zu kämpfen, ohne zu hassen, so viel wie gebraucht wird, Bestehendes aufzulösen, ohne zu zerstören." 

Gewalt dient nicht dazu, "das System" zu "zerschlagen". Gewaltsam kann es aber erscheinen, wenn Altbekanntes und Vertrautes sich verändert, entzerrt, verzerrt - und Neues entsteht. Wichtig ist zu erkennen: Wenn wir den "Institutionen" und ihren Repräsentanten nicht glauben, müssen wir uns auch nicht an sie wenden, sie nicht bekämpfen und nicht zerstören. Wir müssen stattdessen gleichsam an ihnen vorbei agieren: 


"Und belästigt mich" 

Der undeutlichere, offener und rätselhaftere Teil des Graffitis ist es, auf den es ankommt. Vielleicht sind Formen des Protestes wie Blockupy (gewaltfrei oder gewalttätig) längst überholt. Ich persönlich möchte das Neue ohne die Chiffre "Gott" denken können, die für mich durch die Tradition entwertet ist. 


***

Frankfurt, 18. März 2015


"Verschwendet erscheint mir auch die Sprache des Protestes, der sich an die Regierenden wendet. Die Parolen der Entrüstung sind erbärmlich (nicht der Protest, der damit einhergeht)."




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